Internationale Herder-Gesellschaft
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Herders Geographie
20. Konferenz der IHS – Toronto, 4.-9. September 2025
Vor den und vielleicht auch jenseits der disziplinären Grenzen hat Herder vor allem ein Anliegen, das alle seine Texte durchwebt: aus der Geschichte der menschlichen Gattung entelechisch das Spektrum ihrer Möglichkeiten (und Grenzen) in ihrem erdweiten Biotop zu beschreiben (und zu forcieren in ihrem ökologischen wie schöpfungstheologischen Gebundensein). Ihm geht es um die Beförderung der Humanität in regionaler Diversität, und da bekommt die räumliche Dimension gleich der historischen ein ungeheures Gewicht, das jedoch selten entsprechend wahrgenommen und gewürdigt wird.
Mit seiner Hervorhebung der Anthropologie als Kernwissenschaft zur Erschliessung des
menschlichen Lebens („...wenn unsre ganze Philosophie Anthropologie wird...“ Philosophie zum Besten des Volks, FHA 1, 134) hat sich Herder zu einer Zentralstellung der Geographie verpflichtet. Diese Verpflichtung beruht nicht nur auf der bestimmenden Funktion des Klimas im organischen Leben, sondern auch auf der vom vorkritischen Kant entlehnten Überzeugung, dass die empirische Dimension der Wissenschaften mit Beschreibungen der physischen Geographie anfangen müssen.
Wie diese wissenschaftliche Praxis aussieht, wird z.B. in der Komposition der Ideen deutlich vor Augen geführt. Dort spricht er von einer „völlige[n] Geographie der dichtenden Seelen“ (FHA 6, 298). Und im Journal von 1769 stellt er die Geographie sogar in den Mittelpunkt der anderen Wissenschaften (FHA 9/2, 44, 48).
Herders Beschäftigung mit der Geographie fing in der Studienzeit an, als er Kants Vorlesungen zur physischen Geographie zu den Beliebtesten zählte. Dementsprechend findet die Geographie oder zumindest die geographischen Dimensionen anderer Wissenschaften in fast allen seiner Werke einen wichtigen Platz. Zum Beispiel spricht er im älteren Wäldchen von der „Geographie menschlicher Bildungen“; dort untersucht er auch die Aufgaben, die einem „Geograph[en] der Schönheit“ bevorstehen (FHA 2, 42). Im Journal baut er ein Unterrichtsmodell auf, bei dem die Geographie als Vermittler zwischen empirischen und abstrakten Lernprozessen eine zentrale Rolle spielt. Hier skizziert er auch die maßgebliche Verbindung zwischen Geographie und Historiographie, indem er behauptet, der Historiker könne „nicht ohne Geographie und umgekehrt“ (FHA 9/2, 51). Diese gegenseitige wissenschaftliche Bedingung wird in den Ideen als „Zwist der Genesis und des Klimas“ beschrieben (FHA 6, 280). Die pädagogische Wichtigkeit der Geographie wird auch in den Schulreden immer wieder betont.
Auch die Theologie Herders steht unter dem Zeichen seiner Geographie, wenn auch auf sehr sparsam erläuterter Weise. In den Theologiebriefen z.B. spricht er von einer
„physische[n] Geographie des Menschengeschlechts unsrer Erde“ und bezieht sich dann auf die im neuen Testament angeblich erwähnte geographische Ausdifferenzierung aber auch Vereinigung aller Menschen (FHA 9/1, 427).
Bei einer solchen Untersuchung der Rolle geographischer Wissenschaften bzw. Denkmodelle im Werk Herders kämen zum Beispiel Fragen auf, die eine breites Spektrum seiner Schriften ins Augen nehmen würden. Z.B.:
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Welche wissenschaftlichen Vorbilder rezipiert er in der Erstellung geographischer Ideen? Nicht nur der vorkritische Kant, sondern auch Buffon, Reinhold Forster, Büsching, Zimmermann und andere wären hier bedeutende Vordenker.
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Wie bezieht sich die Reisebeschreibung auf die geographische Erfassung der Erde (Erdkunde), besonders in Bezug auf Herders Verständnis der Weltgeographie?
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Wie beeinflussen geographische Ideen seine Politik? seine kulturtheoretischen Überlegungen?
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Was ist die Geographie? Ist sie dasselbe wie Klimatheorie? wie Erdkunde?
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Wie bringt Herder die empirischen Wissenschaften von Raum und Zeit (d.h. Geographie und Historiographie) in Verbindung mit der philosophischen Untersuchung? Wie könnte das, was er in Ideen eine philosophisch-physische Geographie nennt, aussehen?
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Wie bezieht sich die Geographie auf die anderen Wissenschaften? Nicht nur Geschichte, sondern auch Ästhetik, Anthropologie und Ethnographie, Botanik und Zoologie, Kartographie, u.s.w.?
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Welche Wirkungen hatte Herders Geographie auf die geographischen Wissenschaften, nicht nur seiner Zeit, sondern auch im folgenden Jahrhundert? Haym erwähnt in diesem Zusammenhang nicht nur Alexander von Humboldt, K. E. von Baers und Karl Ritter, sondern auch das, was er „die jugendlich aufstrebende Wissenschaft der Geographie“ seiner eigenen Zeit nennt. Hier erwähnt er Paul
Lehmanns Programmaufsatz zur Geographie, aber auch Friedrich Ratzels „Anthropo- Geographie“ (beide 1883).
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